(verpd) Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht richten sich nach den Umständen des Einzelfalls, urteilte kürzlich das Landgericht Stuttgart. Die Räum- und Streupflicht besteht demnach nicht uneingeschränkt. Sie setzt unter anderem eine konkrete Gefahrenlage voraus.
Im Januar 2021 ging eine Frau morgens gegen 9:45 Uhr durch die verschneite Fußgängerzone einer Stadt. Rund einen Meter von einer Häuserzeile stürzte sie und zog sich Verletzungen an einem Fußgelenk sowie eine Halswirbelsäulenstauchung zu.
Für ihren Sturz machte sie die Inhaberin einer Immobilienverwaltung, die Eigentümerin des Objektes vor dem Unfallort ist, verantwortlich. An dem besagten Morgen sei der Schnee weder geräumt noch sei Streusalz verteilt worden, bemängelte die Verunglückte.
Beides sei ursächlich für ihren Sturz gewesen – obwohl sie an die Witterung angepasstes Schuhwerk getragen habe. Zwei Nächte zuvor sei erheblich Schnee gefallen. Deshalb habe am Tag ihres Unfalls Eisglätte bestanden.
Aufgrund der städtischen Satzung habe für die Immobilienbesitzerin am Ort des Sturzes eine Pflicht zur Räumung und auch zur Streuung bestanden. Es sei vorhersehbar gewesen, dass es durch die Witterungslage ohne entsprechende Maßnahmen zu Schädigungen Dritter kommen könne. Die Beauftragung des Hausmeisterdienstes sei ausgesetzt gewesen.
Die Frau machte gegenüber der Haftpflichtversicherung der Hauseigentümerin Ausgleichszahlungen geltend. In Zukunft sei mit weiteren gesundheitlichen Schäden zu rechnen. Der Versicherer lehnte jedoch ab.
Daraufhin zog die Betroffene vor Gericht und forderte mindestens 2.000 Euro Schmerzensgeld nebst Zinsen. Zudem beantragte sie, dass die Beklagte verpflichtet wird, ihr sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, soweit sie nach dem Unfalltag künftig entstehen, zu ersetzen.
Außerdem verlangte sie die Erstattung von 25,24 Euro für eine Heilmittelbehandlung, 18,98 Euro für die Ausstellung eines Arztberichtes und 280,60 Euro für die außergerichtliche Rechtsverfolgung nebst Zinsen.
Vor dem Amtsgericht Homburg (7 C 234/21) hatte sie damit keinen Erfolg. Und auch im nachfolgend von ihr angestrebten Verfahren vor dem Landgericht Saarbrücken (13 S 96/23) musste sie eine Niederlage einstecken. Die Berufung wurde abgewiesen, die Kosten des Verfahrens der Klägerin auferlegt und keine Revision zugelassen.
Die Gegenseite hatte das Sturzereignis und die vorgetragenen Verletzungsfolgen angezweifelt. Obwohl Schnee gefallen sei, habe es keine Ursachen für Glatteis gegeben, hieß es. Ein etwaiger Sturz habe sich auch nicht auf dem eigenen Grundstück, sondern auf Stadtgebiet ereignet.
Zudem argumentierte die Beklagte, dass mit der Schneeräumung und Salzstreuung vor den Geschäftsräumen seit vielen Jahren ein Hausmeisterservice beauftragt sei. Dessen Vertrag sei zuletzt zwar deutlich reduziert worden, er habe aber im relevanten Zeitraum den Winterdienst sachgerecht ausgeführt. Als Beweis wurden persönliche Notizen vorgelegt. Diese zeigten, dass der Winterdienst einen Tag vor und einen Tag nach dem Sturz erbracht wurde.
Durch Beauftragung des Hausmeisterdienstes, der gewissenhaft ausgewählt und sorgsam angewiesen und überwacht worden sei, habe sie ihre Verkehrssicherungspflicht erfüllt. Sie habe ihre Pflichten auf den Räumungsdienst übertragen. Der Klägerin hätte aufgrund des Schneefalls klar sein müssen, dass eine Begehung mit erheblichen Gefahren verbunden ist.
Die Richter bezweifelten nicht, dass sich der Unfall so, wie von der Klägerin vorgetragen, ereignete und für die Beklagte am Ort des Sturzes eine Räum- und Streupflicht bestanden habe. Jedoch sei die Beklagte den entsprechenden Anforderungen gerecht geworden, heißt es in der Urteilsbegründung.
„In rechtlicher Hinsicht ist zu beachten, dass sich Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht nach den Umständen des Einzelfalls richten. Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs.
Die Räum- und Streupflicht besteht also nicht uneingeschränkt. Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auch auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt. Grundsätzlich muss sich der Straßenverkehr auch im Winter den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen“, heißt es in der Urteilsbegründung.
Die winterliche Räum- und Streupflicht beruhe auf der Verantwortlichkeit durch Verkehrseröffnung und setze eine konkrete Gefahrenlage, das heißt, eine Gefährdung durch Glättebildung beziehungsweise Schneebelag, voraus, so das Landgericht Saarbrücken.
Grundvoraussetzung sei das Vorliegen einer „allgemeinen Glätte“ oder das Vorliegen von erkennbaren Anhaltspunkten für eine ernsthaft drohende Gefahr aufgrund vereinzelter Glättestellen und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glättestellen. Es sei unerheblich, ob die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht betreffend den Winterdienst ordnungsgemäß übertragen habe.
Denn die nach den Umständen des Einzelfalls erforderlichen Winterdienstmaßnahmen wurden durchgeführt, zeigte sich das Gericht aufgrund einer Zeugenaussage und unter Zuhilfenahme eines Fotos überzeugt. Es hätten am Unfalltag keine weiteren Winterdienstmaßnahmen ergriffen werden müssen. Die am Vortag erfolgten Winterdienstarbeiten waren auch noch am Abend des Folgetages sichtbar.
Wie das Urteil zeigt, sollten Immobilienbesitzer prinzipiell eine Haus- und Grundbesitzer-Haftpflichtversicherung oder Eigentümer eines selbst genutzten Einfamilienhauses eine private Haftpflichtversicherung haben. Denn diese übernimmt nicht nur berechtigte Schadenersatzforderungen Dritter, wenn tatsächlich die Streupflicht verletzt wurde, sondern wehrt auch ungerechtfertigte Ansprüche wie in dem genannten Fall ab.