(verpd) Ein Fahrzeugführer hatte nach einem Verkehrsunfall vergeblich eine angemessene Zeit auf das Eintreffen der Polizei gewartet. In diesem Fall darf ihm von seinem Vollkaskoversicherer nicht der Versicherungsschutz versagt werden, weil er zusammen mit dem von ihm beauftragten Abschleppdienst den Ort des Geschehens verlassen hat. Das gilt zumindest dann, wenn bei dem Unfall kein erheblicher Fremdschaden entstanden ist, so das Landgericht Kassel in einem Urteil vom 24. August 2021 (5 O 37/21).
Der Kläger war mit seinem Personenkraftwagen bei trockenen Straßenverhältnissen auf einer Autobahn unterwegs, als er nach dem Durchqueren eines Tunnels unvermittelt in einen heftigen Hagel- und Graupelschauer geriet.
Auf der rutschigen Fahrbahn kam das Auto sofort ins Schleudern und prallte zunächst gegen die Mitteleitplanke. Dann schlidderte es nach rechts und stieß auch noch gegen die dort befindliche Leitplanke. Es kam schließlich auf dem Seitenstreifen zum Stehen.
Nachdem sich der Mann und seine beiden Beifahrer vom ersten Schrecken erholt hatten, schaute er sich zuerst die Schäden an seinem Fahrzeug und dann mögliche Beschädigungen der Leitplanken an. Er konnte dabei keine nennenswerten Schäden an den Planken feststellen.
Die Mittelleitplanke sah sich der Betroffene jedoch nur vom rechten Fahrbahnrand aus an. Denn er wollte die Autobahn aus Sicherheitsgründen nicht überqueren.
Einer seiner Beifahrer rief zeitgleich die zuständige Autobahnpolizeistelle an, um dort den Unfall zu melden. Dabei wurde ihm mitgeteilt, dass man derzeit keinen Streifenwagen zum Unfallort schicken könne, weil sich in Gegenrichtung ein größerer Verkehrsunfall ereignet habe. Für den Fall, dass kein Fremdschaden entstanden sei, solle die Unfallstelle geräumt werden.
Das Fahrzeug des Klägers war nach dem Unfall nicht mehr fahrbereit. Er rief daher den ADAC an, um es abschleppen zu lassen. Dessen Helfer traf nach etwa einer Dreiviertelstunde am Ort des Geschehens ein.
Da zu diesem Zeitpunkt weder die Straßenwacht noch die Polizei erschienen waren, fuhren der Mann und seine Beifahrer mit dem Abschleppwagen mit, um anschließend einen Leihwagen des Unternehmens zu übernehmen.
Bei dem Vorfall wurde das Auto so erheblich beschädigt, dass es einen Totalschaden erlitt. Der Betroffene verlangte daher von seinem Vollkaskoversicherer, ihm den Schaden abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung zu ersetzen.
Das lehnte der Versicherer ab. Denn der Fahrer habe sich einer Verkehrsunfallflucht schuldig gemacht und somit arglistig seine Aufklärungspflicht verletzt. Der Fall landete schließlich vor Gericht. Dort erlitt der Versicherer eine Niederlage.
Nach der Vernehmung der beiden Beifahrer zeigte sich das Kasseler Landgericht davon überzeugt, dass sich der Vorfall im Kerngeschehen so zugetragen hatte, wie von dem Versicherten behauptet. Es sei auch kein Grund ersichtlich, wieso sich der Kläger und die Zeugen das Unfallgeschehen lediglich ausgedacht haben sollten.
Im Übrigen sei der Mann nicht dazu verpflichtet gewesen, sich vor Verlassen des Unfallorts erneut bei der Polizei zu melden. Denn weder sie noch andere feststellungsbereite Personen seien innerhalb der in § 142 Absatz 1 Nr. 2 StGB vorgeschriebenen Wartefrist am Unfallort erschienen.
Selbst wenn nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Leitplanken bei dem Unfall beschädigt wurden, habe der Versicherer nicht beweisen können, dass es sich um erhebliche Beschädigungen handele. Der Vorwurf einer Verkehrsunfallflucht und damit einer arglistigen Obliegenheitsverletzung des Versicherten sei daher auch aus diesem Grund nicht gerechtfertigt.
Der Wortlaut der Entscheidung kann nach einem Mausklick auf diesen Link abgerufen werden.