(verpd) Ein in einer Kolonne fahrender Kfz-Fahrer hatte seine Absicht, nach links auf ein Grundstück abzubiegen, nicht rechtzeitig angekündigt und sich auch nicht ordnungsgemäß eingeordnet. In diesem Fall haftet er ganz überwiegend für die Folgen eines Unfalls mit einem ihn dabei überholenden Auto. Das hat die 23. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg entschieden (323 S 25/21).
Ein Mann war dabei, mit seinem Pkw eine mit langsamer Geschwindigkeit fahrende Fahrzeugkolonne zu überholen. Plötzlich scherte ein Auto aus, um nach links in eine Grundstückseinfahrt abzubiegen. Dabei kollidierten die beiden Fahrzeuge. Der Überholende warf dem Abbiegenden vor, seine Absicht weder rechtzeitig angekündigt noch sich ordnungsgemäß eingeordnet zu haben und verklagte ihn auf Schadenersatz.
Sein Unfallgegner behauptete jedoch, dass der Kläger beim Überholen einer Fahrzeugkolonne damit habe rechnen müssen, dass ein Auto möglicherweise ausscheren werde, um nach links auf ein Grundstück abzubiegen. Der Überholende habe den Unfall daher zumindest mitverschuldet. Dieser Argumentation schloss sich das schließlich mit dem Fall befasste Hamburger Landgericht nur bedingt an. Es gab der Schadenersatzklage des Vorbeifahrenden überwiegend statt.
Nach der Beweisaufnahme hielten es die Richter für unstreitig, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der Kollision bereits mit dem Abbiegevorgang begonnen hatte. Dabei sei er aber ganz offenkundig seinen sich aus § 9 StVO (Straßenverkehrsordnung) ergebenden Pflichten nicht nachgekommen. Denn insbesondere bei einer ordnungsgemäßen zweiten Rückschau hätte er den überholenden Wagen nicht übersehen können.
Einen mitursächlichen Verkehrsverstoß des Überholenden hielt das Gericht hingegen für nicht erwiesen. „Denn dass sich eine mit langsamer Geschwindigkeit fahrende Kolonne gebildet hat, begründet für sich genommen ebenso wenig eine unklare Verkehrssituation wie die Möglichkeit, dass ein in der Kolonne befindliches Fahrzeug zum Abbiegen auf ein Grundstück ausscheren könnte“, heißt es dazu in der Urteilsbegründung.
Ohne weitere Anhaltspunkte müsse der Fahrer eines überholenden Autos auch nicht mit einer Auswirkung auf einen Überholvorgang rechnen. Er dürfe vielmehr darauf vertrauen, dass ein Abbiegender – bevor er einen möglichen Abbiegevorgang einleitet – seine äußerste Sorgfaltspflicht einhält.
Nach Angaben eines Zeugen habe der Beklagte den Abbiegevorgang jedoch weder rechtzeitig angekündigt noch sich ordnungsgemäß eingeordnet. Auch das spreche für einen erheblichen Sorgfaltsverstoß.
Angesichts der Tatsache, dass der Kläger eine Kolonne überholt habe, müsse jedoch von einer erhöhten Betriebsgefahr seines Fahrzeugs ausgegangen werden. Diese trete nicht vollständig hinter das Verschulden des Abbiegenden zurück.
Es müsse insbesondere berücksichtigt werden, dass sich der Vorbeifahrende für einen zwar nicht grundsätzlich unzulässigen Fahrvorgang entschieden habe, nämlich eine Kolonne aus mehreren Wagen zu überholen, dieser aber mit einem gesteigerten Risiko verbunden sei.
Denn bereits beim Überholen von zwei Autos sei die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Fahrvorgänge anderer Verkehrsteilnehmer später wahrgenommen und Reaktionsmöglichkeiten dementsprechend erschwert würden, da die Sicht durch weitere in der Kolonne befindliche Fahrzeuge eingeschränkt sei.
Das Hamburger Landgericht hielt daher eine Haftungsverteilung von 70 Prozent zu 30 Prozent zulasten des Beklagten für angemessen. Die Richter ließen keine Rechtsmittel gegen ihre Entscheidung zu.