Wenn die Hundeleine zur Sturzfalle wird

(verpd) Dass ein Tier durch einen Menschen geleitet wird, wie dies bei Hunden häufig der Fall ist, schließt nicht aus, dass sich „spezifische Tiergefahren“ verwirklichen und der Tierhalter für mögliche Schäden, die andere dadurch erleiden, aufkommen muss. Das stellte ein Gericht fest und billigte die Ansprüche gegen einen Hundehalter, nachdem eine Frau durch die Schleppleine, an der der Tierbesitzer seinen Hund führte, verletzt worden war.

Eine Frau ging im Juli 2020 mit dem Hund ihres Vaters auf einem Feldweg spazieren. Dabei nutzte sie eine Schleppleine. Eine andere Frau war ebenfalls mit einem Hund auf dem Feldweg unterwegs. Auf einem hoch mit Gras bewachsenen Feld rannten die beiden Hunde zu einem Mäuseloch. Der Hund mit der Schleppleine zog diese lose nach. Das Frauchen des anderen Tieres lief hinterher, um die Hunde von dort zu vertreiben.

Dabei geriet sie unbemerkt in die Schleppleine. Als die Frau den Hund ihres Vaters zurückrief, und der zurücklief, zog sich die Schleppleine um das Bein der anderen Frau. Sie wurde umgerissen, erlitt eine Fraktur des proximalen Endes des Schienbeins (Tibia) rechts und musste stationär im Krankenhaus behandelt werden.

Für die Schäden machte sie den Hundehalter verantwortlich. Doch der Haftpflichtversicherer des Mannes lehnte vorgerichtlich eine Regulierung des Schadens ab.

Krankenversicherer fordert Ersatz aufgrund Tierhalterhaftung

Der gesetzliche Krankenversicherer der Verletzten verklagte den – mittlerweile verstorbenen – Hundehalter, dessen unbekannte Erben durch einen Nachlasspfleger vertreten werden. Er forderte Schadenersatz für die Behandlungskosten und die Feststellung der Pflicht zum Ersatz weiteren Schadens.

Der Beklagte vertrat dagegen die Auffassung, in dem Unfall habe sich keine typische Tiergefahr verwirklicht. Zudem würden Ansprüche des Krankenversicherers an einem weit überwiegenden Mitverschulden der Geschädigten scheitern.

Keine „spezifische“ oder „typische“ Tiergefahr?

Das Landgericht Bonn wies die Klage ab, das Oberlandesgericht (OLG) Köln wies die Berufung zurück. Dem beschriebenen Geschehen nach habe sich keine „spezifische“ oder „typische“ Tiergefahr verwirklicht, befand das OLG.

Im Zurückrennen des Hundes zur Tochter des Beklagten habe sich kein der tierischen Natur entsprechendes unberechenbares und selbstständiges Verhalten gezeigt. Der Hund habe allein auf menschliche Steuerung in gewünschter Art und Weise reagiert.

Dass er zuvor zum Mäuseloch gerannt war, sei zwar ein unberechenbares, instinktgemäßes selbsttätiges Tierverhalten und für die Verletzung auch ursächlich. Dies reiche aber nicht, wenn der Schaden keine Konkretisierung der „spezifischen“ beziehungsweise „typischen“ Tiergefahr darstelle.

So ein Fall liege hier vor. Denn der Schaden sei nur aufgrund einer Verkettung besonders ungewöhnlicher Umstände entstanden.

Entscheidung gegen den Hundehalter

„Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand“, urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) am 11. Juni 2024 (VI ZR 381/23). Der Krankenversicherer mache das Vorliegen der Voraussetzungen des § 833 Satz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) zu Recht geltend.

Der BGH sieht die spezifische Tiergefahr darin, dass der Halter seine Umwelt mit einem lebenden Organismus konfrontiert, dessen Eigenschaften und Verhalten er wegen der „tierischen Eigenwilligkeit“ nicht vollumfänglich kontrollieren kann. Die Tierhalterhaftung sei „gleichsam der Preis dafür“.

Menschliche Leitung schließt spezifische Tiergefahren nicht aus

Wenn man davon ausgehe, dass der Halter den „lebenden Organismus, dem er seine Umgebung aussetzt“, gerade wegen dessen Lebendigkeit oft nicht vollständig kontrollieren kann, so ergebe sich: Die Leitung durch den Menschen schließt spezifische Tiergefahren nicht zwangsläufig aus.

Wenn die menschliche Leitung – so wie hier – nur der Anstoß für das „tierische Verhalten“ ist, dieses ausgelöste Verhalten aber mangels physischer Zugriffsmöglichkeit nicht mehr menschlicher Kontrolle unterliegt, dann „gibt es keinen Grund, eine spezifische Tiergefahr zu verneinen, die sich aus der selbstständigen Bewegung des Tieres, seiner Energie und Kraft ergibt“.

Für eine Haftung genüge die Mitverursachung oder bloß mittelbare Verursachung durch die Tiergefahr, hielt der BGH weiter fest.

Hunde folgte nicht bloß der Leitung der Tochter

„Anders als das Berufungsgericht meint“, sei der Hund nicht bloß der Leitung und des Willens der Tochter des Beklagten gefolgt.

Ihr Ruf habe ihn zwar loslaufen lassen. Aber: „Die Linie seines Laufs, dessen Geschwindigkeit, seine Kraftentfaltung und sein Energieeinsatz, die geeignet gewesen sein müssen, die Frau zu Fall zu bringen, waren nicht vom Menschen angeleitet oder kontrolliert […].“

Für die Einordnung als Tiergefahr spreche auch das Unvermögen des Hundes, die lose Schleppleine als Gefahrenmoment zu erkennen und beim Feststellen eines Widerstandes an der Leine anzuhalten. Der BGH hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache an selbiges zurück.

Verschuldensunabhängige Haftung

Auch ein anderer Gerichtsfall, der vor dem Oberlandesgerichts Koblenz (Az.: 12 U 249/18) entschieden wurde zeigt, dass ein Tierhalter gemäß § 833 BGB auch dann haftet, wenn ihm kein Fehlverhalten vorgeworfen werden könne. Denn die Haftung für Schäden, die ein Haustier anrichtet, welches nicht zur Berufsausübung gehalten werde, setze kein Verschulden des Tierhalters voraus.

Die Fälle zeigen, wie wichtig es grundsätzlich für Hundehalter ist, eine Tierhalterhaftpflichtversicherung zu haben. Denn ein Hundehalter muss die durch den Hund bei Dritten verursachten Schäden wie Schmerzensgeld- und Schadenersatzforderungen dann nicht aus der eigenen Tasche zahlen, da diese Police die Schadenkosten übernimmt.

Zudem wehrt eine solche Versicherung aber auch ungerechtfertigte oder überzogene Forderungen Dritter ab.

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