(verpd) Der Fahrer eines Pkws war trotz unklarer Verkehrslage hinter einem zunächst stehenden Lkw nach rechts in eine Straße eingebogen. In diesem Augenblick setzte sich der Lkw rückwärts in Bewegung und die Fahrzeuge kollidierten. Daran hat der Abbieger ein erhebliches Mitverschulden, entschied das Landgericht Lübeck in einem Urteil (9 O 13/23).
Ein Autofahrer wollte nach rechts in eine Straße abbiegen. Ihm entgegen kam ein Lkw, dessen Fahrer sein Fahrzeug in diesem Augenblick leicht schräg im Bereich der Einmündung zum Stehen brachte. Das nutzte der Fahrer des Pkws, indem er eine Lücke nutzend auf der Beifahrerseite des Lkws vorbeifuhr, um hinter diesem abzubiegen.
Im gleichen Augenblick fuhr der Lkw-Fahrer jedoch rückwärts. Dadurch kollidierten die Fahrzeuge und es entstand an dem Pkw ein Schaden von fast 12.000 Euro.
Der Pkw-Fahrer behauptete, dass er mit dem Rückwärtsfahren des Lkws nicht habe rechnen müssen. Denn dafür habe es keinerlei Anzeichen gegeben. Dem widersprach der Unfallgegner. Er trug vor, dass er sowohl die Warnblinkanlage seines Fahrzeugs als auch eine Rundumleuchte eingeschaltet habe, als er kurzzeitig in dem Einmündungsbereich stehen geblieben sei.
Dadurch sei für den anderen Fahrer eine unklare Verkehrslage entstanden. Es sei ihm daher verwehrt gewesen, hinter dem Lkw nach rechts abzubiegen.
Das Lübecker Landgericht hielt bei Abwägung der Verschuldensanteile sowohl den Fahrer des Lkws als auch den des Pkw für den Unfall verantwortlich.
Es warf dem Lkw-Lenker vor, gegen § 9 Absatz 5 StVO (Straßenverkehrsordnung) verstoßen zu haben. Denn danach müsse sich ein Fahrzeugführer beim Rückwärtsfahren so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei. Er müsse sich erforderlichenfalls einweisen lassen.
Für einen derartigen Verstoß spreche auch der Beweis des ersten Anscheins. Dieser sei gegeben, wenn es in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Rückwärtsfahren zu einem Zusammenstoß komme.
Der Lkw-Fahrer habe zwar behauptet, die Warnblinkleuchten und die Rundumleuchte angeschaltet zu haben, um zu signalisieren, dass er rangieren wollte. Das schütze ihn jedoch nicht vor einer Haftungsverpflichtung. „Denn nur ein vom Fahrer aus sichtbarer oder mindestens von einer Hilfsperson beobachteter und dem Fahrer mitgeteilter, also mit Gewissheit freier Raum, darf rückwärts befahren werden.“
Dem Pkw-Lenker warfen die Richter vor, trotz unklarer Verkehrslage versucht zu haben, hinter dem Lkw abzubiegen. Und das, obwohl er selbst angegeben habe, dass für ihn zunächst nicht absehbar war, was der Lkw-Fahrer vorhabe. Er habe daher zumindest gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht im Sinne von § 1 StVO verstoßen.
Ein Idealfahrer hätte in einer solchen Situation entweder vor dem Einmündungsbereich der Straße mit angeschaltetem Blinker gewartet, bis der Lkw aus dem Einmündungsbereich weggefahren wäre oder hätte Kontakt zu dem Lkw-Fahrer aufgenommen, um sicherzugehen, dass er dort stehen bleibt. Beides sei nicht geschehen, so das Gericht.
Nach all dem hielten die Richter eine Haftungsverteilung von 60 Prozent zu 40 Prozent zu Lasten des Lkw-Fahrers für gerechtfertigt. Die Ursache für die Kollision sei zwar von beiden Unfallbeteiligten gesetzt worden. Der Verstoß gegen § 9 StVO wiege jedoch schwerer als jener gegen § 1 des Gesetzes.
Es sei außerdem zu berücksichtigen, dass von dem Lkw eine höhere Betriebsgefahr ausgegangen sei als von dem Unfallgegner.