(verpd) Wer im Bereich einer in seine Fahrtrichtung auf Rot stehenden Ampel an einem nicht verkehrsbedingt haltenden Fahrzeug vorbeifahren will und dazu zunächst ein dahinter haltendes Auto überholen muss, muss die sich aus der Straßenverkehrsordnung ergebenden Sorgfaltspflichten beachten. Das geht aus einem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 20. Januar 2023 hervor (13 S 74/22).
Die Klägerin hatte sich mit ihrem Pkw einer Ampel genähert, die für ihre Fahrtrichtung auf Rot stand. Dort stand ein Lieferwagen mit eingeschaltetem Warnblinklicht.
Als die Frau an dem Transporter vorbeifahren wollte, kollidierte sie mit dem sich von hinten nähernden Pkw der Beklagten. Denn diese hatte die gleiche Idee.
Für den Unfall hielt die Klägerin die Fahrerin des überholenden Fahrzeugs für verantwortlich. Diese habe trotz einer unklaren Verkehrslage überholen wollen. Die Überholende habe aber angesichts der Situation damit rechnen müssen, dass sie ebenfalls an dem liegengebliebenen Lieferfahrzeug vorbeifahren wollte.
Mit dieser Argumentation hatte die Frau zunächst keinen Erfolg. Das in erster Instanz mit dem Fall befasste Homburger Amtsgericht ging von einem alleinigen Verschulden der Klägerin an der Kollision aus. Nach den Feststellungen eines Sachverständigen sei sie, ohne sich ausreichend nach hinten zu orientieren, ausgeschert, um an dem Transporter vorbeizufahren.
Dadurch habe sie gegen § 6 Satz 3 StVO verstoßen. Danach sei derjenige, der ausschere, dazu verpflichtet, auf den nachfolgenden Verkehr zu achten sowie das Ausscheren und Wiedereinordnen wie beim Überholen anzukündigen.
Letzterem wollten die Richter des in Berufung mit dem Fall befassten Saarbrücker Landgerichts nicht widersprechen. Anders als das Amtsgericht gingen sie jedoch von einem beiderseitigen Verschulden der Unfallbeteiligten aus.
Für die Beklagte sei angesichts der Verkehrslage nicht zuverlässig einzuschätzen gewesen sei, wie sich die Klägerin verhalten werde. Daher hätte sie ihre Absicht, zu überholen, nach Ansicht des Gerichts gegebenenfalls zurückstellen beziehungsweise besonders vorsichtig agieren müssen.
Es sei nämlich damit zu rechnen gewesen, dass die Klägerin ausscheren würde, um ihrerseits an dem liegengebliebenen Lieferwagen vorbeizufahren. Die Beklagte habe daher gegen das Rücksichtnahmegebot im Sinne von § 1 StVO verstoßen.
Angesichts der beiderseitigen Verschuldensanteile hielt das Berufungsgericht eine Haftungsteilung für gerechtfertigt. Die Richter sahen keine Veranlassung, ein Rechtsmittel gegen ihre Entscheidung zuzulassen.
In diesem Fall müssen die Kfz-Haftpflichtversicherungen beider Frauen jeweils die Hälfte des gegnerischen Schaden zahlen. Entsprechend werden beide beim Schadenfreiheitsrabatt zurückgestuft.
Die andere Hälfte des eigenen Schaden übernimmt die eigene Vollkaskoversicherung, sofern diese am Unfalltag bestand, abzüglich einer eventuell vereinbarten Selbstbesteiligung.